Wenn Du nach einem Symbol aus Deiner Lieblingsgeschichte gefragt wirst – an welches denkst Du zuerst? Und was glaubst Du: hat dieses Symbol durch Zufall in die Geschichte gefunden, oder wurde es dort mit einer bestimmten Absicht platziert?

Wenn ich lese, nehme ich Symbole nicht immer bewusst wahr. Selbst beim Schreiben geht mir das manchmal so. Ein Symbol ist auch nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennbar: Manch unscheinbare Geste, eine Floskel oder gar ein Fleck in der Landschaft entwickeln unter UmstÀnden erst im Laufe der Geschichte ihren symbolischen Charakter.

Was mich als Kunsttherapeutin und Autorin dabei besonders fasziniert: Àhnlich wie Bilder transportieren Symbole vielschichtige, oft auch mehrdeutige Botschaften. Das macht sie zu einem unglaublich spannenden Element in der Literatur.






Aber fangen wir vorne an ... Der Begriff sĂœmbolon stammt aus dem Griechischen und lĂ€sst sich in etwa ĂŒbersetzen mit Erkennungszeichen oder Sinnbild. Schon hier wird deutlich: sehen wir ein Symbol – oder lesen davon – verbinden wir auf Anhieb etwas damit. Mehr noch. Wir erkennen eine tiefere Bedeutung, die ĂŒber das Offensichtliche hinausgeht. Klingt kompliziert, kennen die meisten von uns aber: 

Ein Kreuz beispielsweise kann verschiedene Gedanken und GefĂŒhle auslösen. Es kann politische Bedeutung haben, wenn es auf einem Stimmzettel verwendet wird, spirituelle Bedeutung im Christentum oder medizinische Bedeutung auf einem Verbandskasten. Voraussetzung fĂŒr das VerstĂ€ndnis in den drei unterschiedlichen Beispielen ist, dass wir die jeweilige Interpretation zuvor kennen gelernt haben. Abweichend davon gibt es jedoch ein weiteres, interessantes PhĂ€nomen:






Vielleicht habt Ihr schon von sogenannten archetypischen Symbolen gehört. Der Begriff des Archetyps wurde durch den Schweizer Psychiater C. G. Jung im Rahmen der Analytischen Psychologie geprĂ€gt. Im Gegensatz zum individuell definierten oder kulturspezifischen Symbol, zeichnet sich ein archetypisches Symbol dadurch aus, dass es kulturĂŒbergreifend die gleichen oder ganz Ă€hnliche Assoziationen hervorruft – also bei allen Menschen auf der ganzen Welt, unabhĂ€ngig von ihrem individuellen Erfahrungshintergrund.

Jung begrĂŒndet diesen Effekt mit der Existenz eines kollektiven Unbewussten – eine Art psychische Grundstruktur, die bei allen Menschen angelegt ist. Ich beziehe mich im Folgenden allerdings weniger auf seinen Ansatz, als auf meine persönliche Erfahrung mit Symbolen in der Literatur ;)





Noch einmal zur Unterscheidung: Unser Kreuz ist ein individuell definiertes Symbol. Jemand, der in seinem Leben noch keine BerĂŒhrungspunkte mit dem christlichen Glauben hatte, wird auch nicht an Jesus oder die Bibel denken, wenn er ein Kreuz sieht. Ganz einfach – weil er nie von dieser Interpretation gehört hat. Mit dem Kreuz als Symbol sind in diesem Fall keine christlichen Bedeutungsinhalte oder Assoziationen verknĂŒpft.






Anders verhÀlt es sich mit archetypischen Symbolen, die oft in Verbindung zur Natur stehen oder auf universell menschlichen Erfahrungen beruhen: Geburt, Tod, Kindheit, oder TrÀume. Wenn jemand das Universum, die Sterne, den Mond oder die Sonne mit einer Geste beschreiben soll, werden die meisten Menschen einen Kreis ziehen. Du vielleicht auch?

Wir verbinden Ă€hnliche Erfahrungen mit den oben genannten Begriffen. Wenn wir einen Baum sehen, denken wir an Wachstum, Entfaltung, oder an den Wechsel der Jahreszeiten. NatĂŒrlich besitzen auch archetypische Symbole nicht die eine, festgelegte Bedeutung. Aber dazu spĂ€ter mehr!

Als Autorin fasziniert mich das PhĂ€nomen der archetypischen Symbole, weil ich mich darauf verlassen kann, dass diese Bilder immer Ă€hnlich verstanden werden – egal, wer meine Zielgruppe ist, oder in welche Sprache meine Geschichten ĂŒbersetzt werden.




Aber auch im therapeutischen Bereich haben archetypische Symbole Relevanz: aus welchem Kulturkreis auch immer ein Patient oder eine Patientin stammt, ganz gleich wie alt jemand ist, oder was diese Person erlebt hat – bestimmte Symbole wecken in uns allen verwandte Gedanken oder GefĂŒhle. Das schafft eine gemeinsame Sprache und verbindet uns als Menschen, egal wie unterschiedlich wir sind!

Auch wenn sie intuitiv Ă€hnlich interpretiert werden, haben archetypische Symbole keine festgelegte Bedeutung. Wasser kann Leben hervorbringen oder zerstören,  tiefe GewĂ€sser können uns Angst machen oder fĂŒr das Unbewusste stehen – Ă€hnlich wie der Wald. Das Beste ist aber, dass wir im kreativen Schreiben gar nicht unbedingt auf bekannte oder vordefinierte Symbole zurĂŒckgreifen mĂŒssen. Wir können eigene Sinnbilder erschaffen, indem wir ein Objekt, eine Figur oder Handlung mit bestimmten Attributen verknĂŒpfen – anders gesagt: indem wir dem Symbol eine eigene Geschichte geben und es auf diese Weise mit GefĂŒhlen oder Botschaften aufladen.




 

So einfach das klingt, habe ich großen Respekt vor dieser Technik und halte sie fĂŒr eine Königsdisziplin des Autorenhandwerks.
Prima! Und wie genau verwende ich nun Symbole in meiner eigenen Geschichte?

 




Suzanne Collins macht in Die Tribute von Panem den Spotttölpel zum Symbol der Rebellion. Solche eigens erdachten Symbole werten eine Geschichte auf: das fiktive Universum gewinnt an GlaubwĂŒrdigkeit und Tiefe – was ein intensiveres Abtauchen in die Welt ermöglicht. Ich wĂŒrde sogar behaupten, Geschichten mit eigenen Symbolen verwickeln uns emotional stĂ€rker in das Geschehen, und bleiben deshalb auch lĂ€nger und eindrĂŒcklicher im GedĂ€chtnis.

Eigens erdachte Symbole bereichern eine Geschichte also in emotionaler Hinsicht. Aber muss es unbedingt immer ein brandneu erdachtes Symbol sein? Keine Sorge: muss es nicht. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, bereits existierende Symbole in der Geschichte zu verwenden, sie aber mit einer persönlichen Note zu versehen. Ein Beispiel fĂŒr diese Technik ist der Baum der Tausend Farben aus der Reihe Daliahs Garten. Bei genauerem Hinsehen finden sich in dieser Geschichte auch zwei Ebenen:




Die erste Ebene vereint alle Aspekte der Handlung, die ich persönlich an einer guten Geschichte schĂ€tze – und die mir deshalb auch bei eigenen Projekten wichtig sind: eine spannende ErzĂ€hlungen mit besonderen SchauplĂ€tzen und Charakteren, die einem ans Herz wachsen. Auf dieser Ebene ist der Baum der Tausend Farben das Zentrum der magischen Welt und der Ursprung aller Prismagie. Als Protagonistin hat Daliah eine besondere Verbindung zu diesem magischen Baum. Und als seine Existenz bedroht ist, setzt sie natĂŒrlich alles daran, das Reich der Tausend Farben und die Prismagie zu beschĂŒtzen – indem sie versucht, den Baum zu retten.

Auf der zweiten Ebene steht der Baum der Tausend Farben als archetypisches Symbol fĂŒr die Verbindung zur Natur, aber auch fĂŒr die Verbindung zu sich selbst – zu den eigenen Wurzeln.






Die Geschichte funktioniert natĂŒrlich auch, wenn man die zweite Ebene nicht versteht oder einfach keine Lust hat, sich auf eine weitere Bedeutungsebene einzulassen. Beides ist vollkommen in Ordnung! Vorab darf ich soviel verraten: Auf der symbolischen Ebene befasst sich Daliahs Garten mit der Frage, welche Bedeutung die Fantasie fĂŒr uns Menschen hat – und was passieren wĂŒrde, wenn wir sie verlieren. Im Laufe der Handlung lernen Lesende den Baum der Tausend Farben und seine Rolle in der Geschichte immer besser kennen. 

Diese Kombination aus einer individuellen, sich entwickelnden Definition und einem intuitiv verstĂ€ndlichen Sinnbild verleiht dem Baum der Tausend Farben in meiner Kinderbuchreihe Daliahs Garten seine symbolische Kraft. Und man bekommt sehr schnell ein GespĂŒr fĂŒr seine Bedeutung – auch ohne Vorwissen, oder? Wie seht Ihr das? Lasst gerne einen Kommentar da!




Ob individuell definiert oder archetypisch, alle Symbole haben eines gemeinsam: ihre Bedeutungsvielfalt basiert auf den Geschichten, die ĂŒber sie erzĂ€hlt werden. Auf diese Weise erhalten sie ihre Kraft, entfalten sie aber auch – in einem Kreislauf der Symbole, sozusagen :D

Ich hoffe, dieser Beitrag ĂŒber die Bedeutung von Symbolen in Geschichten hat Euch gefallen und war hilfreich! Falls Ihr mehr ĂŒber die Wirkung von Symbolen auf unsere Psyche erfahren möchtet, findet Ihr hier bald einen weiterfĂŒhrenden Artikel zum Thema. 

Gerne könnt Ihr Fragen oder Gedanken in einem Kommentar unter diesem Beitrag teilen. Ich bin gespannt auf Eure Meinung! Schön, dass Ihr vorbeigeschaut habt & bis dann!






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